Herbert Weß, Kirchenmusiker, Organist, Musiklehrer

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Was ich schon immer mal sagen wollte...

 

"MEIN WORT ZUM SONNTAG" am 23.März 2013

Liebe Gemeinde!

 

„Neuen Wein füllt man in neue Schläuche, dann bleibt beides erhalten.“ So ist im neunten Kapitel des Matthäus-Evangeliums zu lesen, und dieser Satz gewinnt spätestens seit der Wahl unseres neuen Papstes Franziskus zunehmend an Aktualität. Jahrzehnte lang schon erschallt in Westeuropa – und zunehmend auch andernorts – der Wunsch nach „Reformen“, also nach Veränderungen, welche vornehmlich innerkirchlicher Art sind – egal ob Freistellung des Zölibats, Zulassung wieder verheirateter Geschiedener zu den Sakramenten, Anerkennung der Homo-Ehe, Dezentralisierung zugunsten der Ortskirchen usw. Das bedeutet zunächst einmal nichts Schlechtes, und auch ich trage das Genannte mit Leidenschaft mit, spricht doch auch das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Konstitution „Lumen Gentium“ davon, Gott stärke seine Kirche „auf ihrem Weg durch Prüfungen und Trübsal (...), damit sie … unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Lichte gelangt, das keinen Untergang kennt.“

Doch ist es mit solch strukturell-kirchenrechtlichen Reformen alleine wirklich getan? Mitnichten! So antwortete beispielsweise Mutter Teresa einmal auf die Frage, was sich denn in der (katholischen) Kirche ändern muss: „Sie und ich!“ Reformen müssen also bei uns selbst beginnen. Wenn wir alle Kirche sind, sind wir es auch, die sich immer wieder von innen heraus reformieren müssen. Was heißt das im konkreten?

Wie oft fordern wir von den verschiedenen Hierarchien respektvollen und geschwisterlichen Umgang mit Andersgearteten und Andersdenkenden! Zu Recht, denn keinem von uns allen steht es zu, die absolute Wahrheit für sich zu beanspruchen. Dieses Privileg kommt allein Gott zu, dessen Wahrheit und Wirklichkeit derart unergründlich ist, dass wir Menschen allenfalls einen klitzekleinen Ausschnitt wahrnehmen und – wenn überhaupt – erfassen können. In diese Wahrheit eingebettet sind auch jegliche Gegensätzlichkeiten, welche nur scheinbar konträr sind. Im Grunde genommen sind es lediglich Erscheinungsformen ein und derselben Realität – so sagt es einer meiner Lieblingsautoren, der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff, in seinem lesenswerten Buch „Die Botschaft des Regenbogens“. Können wir auf dieser Grundlage überhaupt in hundert Prozent der Fälle besagte Erscheinungsformen der Realität absolut den Kategorien „gut“ und „schlecht“ zuordnen? Wer sagt denn, dass wir mit unseren Meinungen, Werten und Haltungen unbedingt stets richtig liegen? Hat sich die Geschichte im Laufe der Jahrhunderte nicht oft genug selbst korrigiert? Es ist wie im Gleichnis vom Weizen und dem Unkraut im 13. Kapitel des Matthäusevangeliums. Die historisch-kritische Forschung hat längstens ergeben, dass es sich bei diesem Unkraut um Lolch handelt, eine Art Giftweizen, welchen man lange Zeit nicht vom essbaren unterscheiden kann – und deren beider Wurzeln miteinander schier untrennbar verschlungen sind. Versucht man also, den Lolch auszureißen, vernichtet man damit beides: das Schlechte, aber auch das Gute. Und davor hat Jesus ja eindringlich gewarnt mit den Worten: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte.“

Was heißt das nun für uns? Niemals steht es uns demzufolge zu, unsere Mitmenschen ob ihrer Inkompatibilität mit den Denk- und Verhaltensmustern des Mainstreams, wegen ihrer ethnischen Herkunft oder sexuellen Orientierung endgültig von der Teilhabe an jeglichen irdischen Gütern auszuschließen, sie auszustoßen und so zu lebendigen Toten zu machen. Und haben sie sich auch noch so schwer verschuldet an uns, noch so viel Leid zugefügt, die Botschaft Jesu ist eindeutig, wie es im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums geschrieben steht: „Herr, wie oft muss ich meinem Nächsten vergeben? – Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal.“ Das soll heißen, nicht nur einige wenige Male, sondern immer und immer wieder, so wie es auch Gott uns gegenüber tut. Seine Geduld mit uns übersteigt jedes menschliche Vorstellungsvermögen, wie die lukanische Geschichte vom Feigenbaum in Kapitel 13 kündet. Da heißt es: „Ein Mann hatte in seinem Weinberge einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: … Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.“ Ich bin der Überzeugung, dass Gott solche Feigenbäume auch weitere Jahre stehen lässt, denn er gibt keinen von uns vollends auf. Und selbst wenn er mal – salopp gesagt – die Nase voll hat von unserem Tun und Treiben – oder aber vielleicht, und das ist der springende Punkt, unserer materialistisch bedingten, besitzstandswahrend intendierten ängstlichen Lethargie, welche sich äußert im Wegschauen, Nicht-Hören-Wollen und Schweigen-, so dauert sein Zorn doch nur einen Augenblick, seine Güte aber immer und ewig. Davon erzählt ja auch die alttestamentlich Geschichte von Noah und der Sintflut, an deren Ende das wunderbare Symbol Regenbogen steht. Muss er bisweilen auch unser Verhalten mehr oder weniger gravierend ahnden, so stellt er die Güte des Daseins seiner Geschöpfe doch niemals in Frage, sondern gibt uns immer wieder eine neue Chance, lässt uns immer wieder neu beginnen. Es mutet nun vielleicht manche von Ihnen überraschend an, wenn ich mich als ein Fan der Musikrichtung HipHop/Rap bekenne. Ich gebe zu, mir ist es nicht gegeben, solche Opera selbst zu verfassen, doch höre ich es in meiner Freizeit bisweilen sehr gerne, da der Text dergestalt exponiert im Vordergrund steht – und sich durch die Abfolge Verse und Chorus eine nicht zu leugnende Verwandtschaft mit unseren Psalmen aufzeigt, wo ja auch Kehrvers und Psalmverse abwechseln. Vielleicht kennen die einen oder anderen von Ihnen die Gruppe „Die fantastischen Vier“. Vor knapp zehn Jahren entstand ein Rap mit dem Namen „Sommerregen“. In diesem Lied geht es um die Fatalität reiner Bequemlichkeit, ja man kann sagen, die Fatalität der Angst vor schlechten Erfahrungen, unangenehmen, bedrängenden Situationen – und damit vor dem Kreuz selbst. Mir persönlich kommt beim Hören und Rezipieren des zugrunde liegenden Textes unweigerlich das Gleichnis von den anvertrauten Talenten in den Sinn. Gewiss: wer seine Begabungen und individuellen Charismen einsetzt, also mit seinen Talenten wirtschaftet, läuft immer Gefahr, auch bei größter Umsicht, zu scheitern, die Talente zu verlieren. Und Gott weiß um unsere Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit – und hat dieses Sicherheitsrisiko einkalkuliert. Doch hätte er uns diese Schöpfung niemals anvertraut, wenn er uns nicht gewollt hätte als Mit-Schöpfer seines Kosmos. Dies aber ist – ein weiteres Mal sei Leonardo Boff zitiert – die größte Würde des Menschen. Der jenige Diener nun, welcher im jesuanischen Gleichnis sein Talent vergraben hat, hat diese Würde nicht angenommen. Er hatte Angst vor dem Scheitern, Angst, das ihm anvertraute Geld zu verlieren. Sein fataler Fehler bestand im Zweifeln an der Güte seines eigenen Daseins, am Zweifel an seiner Eigenschaft als geliebtes Kind Gottes. Und das ist der Knackpunkt: die Angst, dieser abgrundtief leere, hohle Götze, auf den jegliche materialistische Sicherheits-Paranoia und Bequemlichkeit wie auf Sand gegründet ist. Weil wir Angst haben, schweigen wir. Weil wir Angst haben, schauen wir weg. Weil wir Angst haben, wollen wir nichts hören – und pervertieren uns damit unweigerlich in einen Zustand der Amorphie, Apraxie und Atrophie, in die äußerste Finsternis eben, wo wir, leer, allein und ohne transzendentale Hinzugewinne, nur noch mit den Zähnen knirschen können, weil wir nichts zu sagen haben, gabz im Sinne des Liedes, wenn es heißt: „Wir alle bauen diesen Turm und schließen uns ein. Um sicher zu gehen, bleibt jeder allein – und mit Sicherheit gehen wir genau daran ein.“ Die vermeintliche Sicherheit – ein Fatum! Wovor aber haben wir eigentlich Angst? Diese rhetorische Frage ist zugleich das Vermächtnis des im letzten Jahr verstorbenen und von mir sehr geschätzten Kardinals Carlo Maria Martini.

Wovor also haben wir Angst? Warum zweifeln wir? Das Problem heißt: Gotteskrise, Glaubenskrise, säkularer Materialismus! Ich komme immer mehr zu dem Schluss, wir zweifeln, weil wir verlernt haben, unseren Blick über den Tellerrand der Immanenz hinaus auf das Transzendentale zu globalisieren, obgleich wir eigentlich wissen, dass alles Dasein ein einziger Entwicklungsprozess ist, dass wir als pilgerndes Volk Gottes unterwegs sind zum großen Ziel der Zeiten in und mit Gott. Und weil wir so das Diesseitige verabsolutieren und uns an den Gütern dieser Welt festmachen, stoßen wir zahllose Menschen und Tiere ohne Chance auf Vergebung und Neubeginn, ohne ihnen eine Zukunftsperspektive zu ermöglichen, einfach aus. Das aber eben missfällt Gott!

Also: „Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden,… denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden…. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? .... Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Nächsten herauszuziehen.“ Das bedeutet: Natürlich ist es notwendig, zu beurteilen und etwaiges Fehlverhalten dem Nächsten gegenüber zur Sprache zu bringen, doch sollte Kritik stets konstruktiv und niemals ohne vorherige Einsicht und Reflexion in unser Innenleben sowie Überprüfung der Kongruenz von Fühlen, Denken, Tun und Handeln stattfinden. Ist diese Kongruenz nicht gegeben, steht uns Kritik zumindest nur sehr bedingt zu….

„Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ Diese jesuanische Maxime aus Kapitel 7 des Matthäusevangeliums gilt auch für die Gottesbeziehung! Wenn Gott uns immer wieder vergeben soll, wie viel mehr erwartet er dasselbe hinsichtlich des Umgangs unter uns Menschen, denn:

„Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Schon alleine die Quantenphysik lehrt uns, dass alles mit allem, der größte Makrokosmos mit dem kleinsten Mikrokosmos, involviert ist, das heißt, untrennbar verbunden. Nichts, aber auch gar nichts, weder das gewaltigste Sonnensystem noch der subatomare Bereich, kann für alleine existieren. Dies wusste bereits meine Lieblingsgestalt unter den Heiligen, Franz von Assisi. Wie sonst hätte er in seinem „Sonnengesang“ von seiner Schwester Sonne wie seinem Bruder Mond sprechen können? Dies impliziert einmal mehr einen vorbehaltlos respektvollen Umgang jedes einzelnen mit den Mitmenschen sowie der gesamten Schöpfung. Mir persönlich kommen in diesem Zusammenhang besonders die Tiere in den Sinn. Im Buch Genesis gab Gott uns den Auftrag, uns die Tiere zu unterwerfen. Doch ist keineswegs anzunehmen, dass er damit meinte: Macht mit den Tieren, was ihr wollt! Quetscht sie in enge Ställe und Käfige, mästet sie unter unwürdigsten Bedingungen, lasst sie in ihrem eigenen Dreck umkommen oder schlachtet sie bei lebendigem Leib ab. Aktuelle Berichte etwa über Geflügelfarmen oder die Lektüre von Karen Duves Buch „Anständig essen“ lassen einem ob der darin geschilderten grauenvollen Tatsachen regelrecht den Appetit vergehen. Nein, alles steht – wieder sei die Quantenphysik angeführt – mit allem in Verbindung. Ergo tun wir nicht nur den Tieren unsägliches leid an, sondern auch der Schöpfung und letztendlich und vor allem Gott! Wobei ich zugeben muss, dass die Bibel in dieser Frage sehr widersprüchlich angelegt ist. An vielen Stellen ist vom Schlachte und Essen der Tiere die Rede, doch heißt es im Buch Genesis, Kapitel 1: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“ Von Schweinebraten und Rehragout ist da nicht unbedingt die Rede….

Liebe Gemeinde, da ist noch etwas, was mir Sorgen bereitet. Im Evangelium nach Matthäus, Kapitel 6 warnt uns Jesus mit folgenden Worten: „Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen, sonst habt ihr keinen Lohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Wenn du Almosen gibst, lass es also nicht vor dir herposaunen, wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun, um von den Leuten gelobt zu werden. Amen, das sage ich euch: Sie haben ihren Lohn bereits erhalten…. Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler… Amen, das sage ich euch: Sie aber haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber salbe dein Haar,… damit die Leute nicht merken, dass du fastest,… und dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“ Ja, das Übergewicht der Äußerlichkeiten ist heute fürwahr ein ernstzunehmendes Problem. Die Null-Bock-Mentalität der vergangenen achtziger und neunziger Jahre hat sich heute gottlob etwas verringert – doch zu welchem Preis? Die Studie einer durchweg als renommiert zu apostrophierenden Zeitung ergab folgende neue „Werte“ der jüngeren Generationen: an erster Stelle Familie, was ja etwas sehr Gutes ist. Aber das übrige: Macht, Geld und Karriere, gepaart und wiederum untrennbar verbunden mit Geltungssucht, Effekt und Show. Ich persönlich mag es überhaupt nicht, mit dem Prädikat „ehrgeizig“ versehen zu werden, impliziert dieses Adjektiv doch das mittlerweile krankhaft gewordene Streben eben nach Anerkennung, Karriere und Hierarchie-Zugehörigkeit. Und nicht selten sind soziale Akte nichts anderes als pure Selbstdarstellung, welche im Grunde genommen einzig und allein darauf abzielen, sich in den öffentlichen Medien als Wohltäter feiern zu lassen. Ich glaube, an solcherlei Aktionen hat Gott nicht unbedingt die hellste Freude…. Der säkulare Materialismus hat seinen Höhepunkt vielleicht schon etwas überschritten, doch ist er längst nicht überwunden, und der Großteil allen Tun und Strebens ist – zumindest in der westlichen Hemisphäre – einzig und allein darauf angelegt, auf Kosten der Sache selbst, der Freiheit im Denken, Reden und Handeln sowie daraus resultierend der eigenen Psyche und Gesundheit. Eine weitere meiner kirchlichen Lieblingsgestalten, der unvergessene brasilianische Erzbischof Dom Helder Camara stellte in diesem Zusammenhang einmal fest: „Man kann auf dieser Welt alles haben, wenn man dafür auf zwei Dinge verzichtet: Intelligenz und Freiheit!“ Und ich muss sagen, es enttäuscht mich schwer, wenn ich mitbekomme, dass Regierende in Politik und Kirche mit teuersten Limousinen, Luxusvillen bzw. Bischofspalais (neugebaut auf Kosten des Steuerzahlers), mit Wappen und Insignien aus kostbarsten Metallen sich gerieren wie junge Adlige, denen permanent eingeredet wird, etwas Besonderes zu sein, über dem einfachen Volk stehend. Dieses unselige Denken macht leider auch vor der Sparte Musik nicht halt. Da sind eine Vielzahl an Musikerkollegen, die in puncto Literaturauswahl nur mehr auf Effekt aus sind, ohne das Ideelle und Spirituelle zu berücksichtigen – und noch viel schlimmer: Veranstalter, welche sich anmaßen, musikalische Meilensteine wie etwa Hindemith oder Schönberg in ihren Räumlichkeiten zu verbieten, da deren Musik nicht sofort eingängig ist und damit das Geschäft schädigt. Schaut man sich die Programme diverser Konzerte einmal an, fällt einem die Grauheit unseres heutigen Musikbetriebs sofort auf. Ein drohender Rückfall in Ideologien des vergangenen Jahrhunderts ist an dieser Stelle unübersehbar, und diese Schieflage spitzt sich noch weiter zu, wenn man sich vor Augen führt, dass auf breiter Front Stimmung gemacht wird gegen Verkopftheit und jegliche Intellektualismen. Und bedauerlicherweise arbeiten die neuen Medien, welche aus unserer Gesellschaft eine weitgehende Berieselungsgesellschaft gemacht haben, diesem Missstand in kumulierender Weise zu. Ein weiterer Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten besteht im neuerlich aufbrechenden Standes-, Schichten- und Kastendenken. „Sieh dir nur mal an, wie die/der angezogen ist. Seine Eltern sind „nur“ Hartz-IV-Empfänger, Arbeiter, verdienen nur so und so viel. Mit diesen Leuten gibst du dich nicht ab. Die passen nämlich nicht zu unserem gesellschaftlichen Niveau.“ Wie viel ernstgemeinte Liebe und Beziehungswilligkeit, wie viele Psychen wurden dadurch zerstört und werden es auch heute wieder. Von dieser Stelle aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Kastenwesen Alpha bis Delta in Aldous Huxleys „Schöner neuer Welt“. Propagiert man vor diesem Hintergrund auch noch „Eine Welt“ und Ökumene, so ist das nur noch als blasphemisch zu bezeichnen, ganz im Sinne von Kapitel 6 des Lukas-Evangeliums, wo es heißt: „Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil in seinem Herzen Gutes ist…. Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Was sagt ihr zu mir: Herr, Herr!, und tut nicht, was ich sage?“

Liebe Gemeinde, wir stehen am Beginn der Karwoche. Am Karfreitag hören wir im Rahmen der Leidensgeschichte nach Johannes in der Verhandlungsszene vor Pilatus den bewegenden Satz Jesu: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier.“ Entweltlichung. Wie sehr wurde unser emeritierter Papst Benedikt XVI. für dieses geflügelte Wort verbal und medial geprügelt. Was aber bedeutet „Entweltlichung“? Ich denke, es ist damit nicht so sehr der Verzicht auf Geldquellen gemeint, welche uns hier in Deutschland eine Vielfalt an kirchlichen Berufen ermöglichen, um welche uns der Rest der Welt beneidet, und schon gar nicht soll „Entweltlichung“ eine von gewissen Strömungen leider betriebene regelrecht sektische Abschottung als Bollwerk gegen die böse Welt bedeuten. Letzteres wäre ja auch ein unverkennbarer Rückfall hinter das Zweite Vatikanische Konzil, das Benedikt ja, wenn auch in seiner eigenen Auslegung, stets verteidigt hat. Vielmehr deute ich „Entweltlichung“ als Christsein mitten im Leben, welches sich allerdings abkehrt vom rein konsumentischen, machtbesessenen Materialismus zugunsten eines transzendental beseelten Idealismus in dem Bewusstsein, dass die Kirche – und das sind wir alle – sowie die ganze Schöpfung als wanderndes Volk Gottes unterwegs sind zum großen Ziel der Zeiten in und bei Gott, womit wir wieder bei einem Grundgedanken der Konstitution „Lumen Gentium“ wären. Was das für den einzelnen bedeutet, muss jeder von Ihnen selbst entscheiden und immer wieder neu entscheiden. Mein persönlicher Trend geht in folgende Richtung: Ich versuche, jeden Tag dankbar zu sein, dass ich keine physische Not leiden muss, ohne Hunger und Durst, dass ich ein Dach über dem Kopf habe und ein weiches Bett zum Ausruhen. Dankbar, dass ich mich mit all meiner Kraft der Musik, dem Rezipieren von Literatur, Theologie, Philosophie und vielem mehr, der Natur und nicht zuletzt der mir anvertrauten Katzenschar widmen kann und dies daraus gewonnen Erkenntnisse in die Welt in unser Zusammenleben hineintragen darf. Das bedeutet für mich aber auch stets die Bereitschaft zu Reflexion und Einsicht, und – wo nötig – auch zu Umkehr und Neuanfang. Und so frage ich mich immer wieder, wenn es um Konsum und Anschaffungen geht: Brauche ich dieses oder jenes jetzt wirklich? Geht es nicht auch ohne eigenes Auto und weitgehend ohne Fleisch auf dem Teller? Muss ich wirklich jedes Jahr in Urlaub fliegen und damit meinen Beitrag zur kerosinbedingten Umweltverschmutzung beitragen? Geht Erholung nicht auch im Rahmen eines Wanderurlaubs beispielsweise im Bayer- und Böhmerwald? Ich muss sagen, es gehen alle drei Dinge sehr, sehr gut. Ob es ein Leben lang so bleibt, weiß ich nicht. Aber ich will dem Ideal einer ansprechenden Schlichtheit, dem ich mich seit meiner Berufswahl immer mehr verpflichtet fühle, jeden Tag ein Stück näher kommen – im Einklang mit der Bewahrung der Schöpfung sowie des respektvollen Umgangs untereinander. Und da sind wir wieder bei unserem neuen Papst Franziskus. Die Reaktionen auf die Wahl des argentinischen Jesuiten Jorge Mario Bergoglio sind durchaus positiv, doch nicht ungetrübt. In den von mir betreuten Pfarreien hörte ich des öfteren: „Schauen wir mal. Er gilt ja doch auch als sehr konservativ. Und was seine Vergangenheit betrifft…“. Ja, theologisch ist er den Worten von Kardinal Lehmann zufolge „eher traditionell“ ausgerichtet, und ich weiß nicht, ob er die „heißen Eisen“, sprich: die kirchenrechtlichen und strukturellen Reformen, welche uns in der westlichen Hemisphäre so sehr auf den Nägeln brennen, unbedingt angehen wird. Doch lassen die Signale, die er bislang als Bischof von Rom, so seine eigenen Worte, ausgesendet hat, sei es der auf Schlichtheit bedachte Habitus, seien es seine Rede vom „gemeinsamen Auf-dem-Weg-Sein“ oder die Anrede der Kardinäle als Brüder, sein herzliches Zugehen auf die Menschen und damit die Welt, Gutes erhoffen – zugunsten einer armen, oder besser gesagt, einfachen Kirche, welche für die Armen da ist und ihr Recht von den Machthabern dieser Welt einfordert.

Ich muss gestehen, dass ich in den Tagen vor und während des Konklaves des öfteren um das Kommen des Heiligen Geistes gebetet habe. Und nun, da die Euphorie des Anfangs langsam schwindet, frage ich mich, was denn der Hl. Geist uns mit dieser Personalentscheidung sagen will. Ich denke, er hat grundsätzlich nicht nein gesagt zu unseren Reformanliegen. Aber er möchte wohl, dass wir erst bei uns selbst anfangen und jeden Tag aufs Neue vor unserer eigenen Tür kehren, uns gewissermaßen stets selbst reformieren; denn sonst würde der neue Wein in alte Schläuche gefüllt, was bekanntermaßen mehr schadet denn nützt. Hier schließt sich der Kreis. „Neuen Wein füllt man in neue Schläuche, dann bleibt beides erhalten.“ Ich wünsche uns allen, dass die unmittelbar bevorstehende Karwoche sowie die sich anschließende freudehelle Osterzeit sowie das Pontifikat von Papst Franziskus hierfür ein echter Anfang sein kann.

 

 

Aktualisiert am: 08. March 2009 12:39